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Erwartet: Ein Buch des Autors René W.Chr.Dessing Holländische Landsitze. Bürgerträume einer goldenen Zeit
In den Niederlanden gibt es noch viel kultur-grünes Erbgut. Zahlreiche mittelalterliche Schlösser, meist im Besitz von adligen Familien, verloren ihre militärische Verteidigungs-funktion nach der Einführung des Schießpulvers. Sie wurden seither als Landsitz genutzt. Manchmal besaß ein Schloss so viel Land, dass man von einem Landgut sprechen kann. Nicht jedes Landgut hat ein Schloß auf seinem Grund, oft ist der Kern eines Landgutes auch nur ein Landsitz.
Landgüter setzen sich meistens aus Naturgebieten und landwirtschaftlich genutzten Gebieten zusammen. Der Besitzer lebte von den Pachtzinsen und vergnügte sich mit der Jagd in seinen Wäldern oder auf seinen Ländereien. Vom 17. bis ins 20. Jahrhundert bauten Kaufleute und Industrielle neue Landsitze. Auf einem Landsitz bilden das Haus und die dazugehörende gestaltete Grünfläche eine künstlerische Einheit. Das Anwesen diente den Besitzern zur sommerlichen Entspannung; in der Stadt wurde das Geld verdient.Um diesem schönen, aber unbekannten Erbgut eine größere gesellschaftliche Basis zu geben, ist 2014 eine Stiftung als digitales Portal für die niederländischen Schlösser, historischen Landsitze und Landgüter errichtet worden, die unter dem Namen stichting Kastelen, Buitenplaatsen en Landgoederen (sKBL) firmiert.
Die Niederlande zählen noch immer 552 Landsitze, von denen sich viele in den Provinzen Utrecht, Gelderland und Overijssel befinden. Leider sind diese Monumente nationalen Kulturgutes im In- und Ausland nur wenig bekannt. Das ist bedauerlich und erstaunlich zugleich, denn es heißt, dass unser Land zwischen 1600 und 1920 mehr als 6.000 dieser Lustorte gekannt hat. Kunsthistoriker können auf diesem Themengebiet immer noch völlig unerschlossene Forschungsgebiete finden. So werden beispielsweise zahlreiche in arkadischem Umfeld situierte Porträts des 17. und 18. Jahrhunderts oft nicht oder nur kaum vor diesem Hintergrund interpretiert, obschon unsere Vorfahren sich besonders gern auf ihren Landsitzen porträtieren ließen. Schließlich verbrachten sie dort die angenehmste Zeit des Jahres.
Komplex historischer Landsitz?
In den Niederlanden werden Landsitze, die den Zahn der Zeit mehr oder minder unangetastet überstanden haben „komplex historische Landsitze“ genannt. Mit diesem Begriff zielt man auf ein monumentales Haus, das zusammen mit seinen Nebengebäuden, manchmal auch Wirtschaftsgebäude genannt, und einem gestalteten Park und bzw. oder einem Waldgebiet eine unauflösliche Einheit bildet. Viele Landsitze entstanden im 17. und 18. Jahrhundert, doch errichteten im 19. Und 20. Jahrhundert wohlhabende Industrielle auch noch Landsitze. Schon früh im Goldenen Jahrhundert wurden auf neugewonnenen trockengelegten Flächen Landsitze angelegt, aber zahlreich wurden sie auch hinter den Dünen und entlang schiffbarer Wasserwege gebaut. Es gibt entscheidende Unterschiede zwischen Landsitzen und Landgütern. Für letztere sind landwirtschaftliche Aktivitäten von wesentlicher Bedeutung. Pachteinnahmen, Viehzucht, Land- und Waldwirtschaft waren (und sind) essentiell für die Erhaltung eines Landgutes, während dies bei den (Amsterdamer) Landsitzen eine geringere Rolle spielte. Dort nutzte man das aus dem Handel gewonnene Kapital, um die Landsitze in Stand zu halten. Manchmal gab es dort auch einen Bauernhof, aber dieser diente dann oft einzig dazu, die Küche des Eigentümers zu beliefern. Ein wesentlicher Unterschied liegt darin, dass Landsitze auf einem künstlerischen Entwurf beruhen, während ein Landgut sich vornehmlich aus natürlichen Komponenten zusammensetzt (Ackerland, Wälder usw.), sich dort natürlich aber auch gestaltete Gärten und Parkanlagen finden. Die Trennlinien sind längst nicht immer scharf zu ziehen: Manche Landsitze wuchsen sich zu einem Landgut aus, während es auch Landsitze gibt, die ursprünglich ein Landgut waren. Leider herrscht eine große Begriffsverwirrung und man benutzt of wenig begründete Kriterien und Differenzierungen.
Leben im Rhythmus der Jahreszeiten
Unsere Vorfahren reisten bevorzugt auf dem Wasserweg zu ihren Landsitzen. Dies erklärt, warum viele dieser Landsitze entlang Flüssen, Treidelkanälen und (jetzt zum Teil verschwundenen) Seen angelegt wurden (Abbildung 2). Außerdem konnte man auf dem Boot viel leichter für einen monatelangen Aufenthalt mehr Gepäck mitnehmen. Die Periode draußen begann im April und erstreckte sich bis in den Oktober. Wenn man sich aufs Land begab, nahm man das eigene Hauspersonal und den notwendigen Hausrat mit, die Stadtwohnung wurde abgeschlossen und man verließ die enge, stinkende Stadt. Einst seufzte eine Dame, die den Sommer gezwungenermaßen in der Stadt verbringen musste, in einem Brief an eine Freundin, dass „die Stadt ausgestorben war von respektablen Leuten“. Was dieser jährliche Auszug von der Stadt aufs Land für Händler und andere Lieferanten bedeutete, ist bislang noch nicht erforscht. Dieses Lebensmuster vollzog sich alljährlich und jahrhundertelang gleich. Da viele Familien sowohl ein Stadthaus als auch ein Landhaus besaßen, wurden Umbauten und Restaurierungen meist durch ein und denselben, zumeist städtischen Baumeister ausgeführt. Diese arbeiteten damals an mehreren Orten im Land. Zahlreiche Amsterdamer Künstler bekamen auch Aufträge zur Verschönerung der Landsitze mit Wandmalereien, Skulpturen und Gartendekorationen. Dieser Prozess begann um 1600 mit der Anlage erster Landsitze entlang den Ufern des früheren Watergraafsmeer, einem Gewässer in der Gegend, die heute Amsterdam-Oost heißt.
Verschiedene Motive für den Bau
Landsitze entstanden aus unterschiedlichen Gründen. Eine alte Form hat ihren Ursprung in Burgen, Steinhäusern und Wehrtürmen, die im späten Mittelalter ihre militärischen Verteidigungsfunktionen verloren (Abbildung 3). Dadurch konnten ihre meist adeligen Eigentümer diese Gebäude als eine Art Landsitz in Gebrauch nehmen. In der streng ständisch strukturierten niederländischen Republik, hatten reiche Kaufleute im Westen andere Lebensgewohnheiten als der auf Landgütern im Süden und Osten der Niederlande lebende Adel, der schon immer auf Handel und Kommerz herabblickte. Dieser Adel lebte vor allem von seinen Land- und Zollrechten, von Jagd-, Pacht- und Ernteeinkünften. Traditionell hing der Adel sehr an seinem Landbesitz und war bestrebt, diesen stets auszuweiten.
Landsitze sind auch entstanden in der Folge der sich verändernden gesellschaftlichen Verhältnisse im Zuge des 80jährigen Krieges. In den unmittelbaren Jahren nach 1568 wurde überall der umfangreiche kirchliche Grundbesitz enteignet. Dadurch waren die neuen Machthaber in der Position, Land zu erwerben oder ihre bereits bestehenden Besitzungen zu erweitern. Von alters her war Landbesitz eine sichere Anlageform, und mit dem Beginn des 17. Jahrhundert wurde das so erworbene Land auch für die Anlage von Landsitzen genutzt. Es kam vor, dass ein verlassenes Klostergebäude zu einem Landhaus umgebaut oder abgebrochen wurde und danach das Abbruchmaterial für den Neubau eines Landhauses genutzt wurde. Beispiele hierfür sind die Klöster Sion bei Delft, Hageveld bei Heemstede, Marienwaerdt bei Beesd und Oostbroek nahe Utrecht.
Ein weiterer Entstehungsgrund liegt in den gemeinschaftlichen Investitionen von Amsterdamer Kaufleuten in die Trockenlegung des im Norden von Amsterdam gelegenen Gewässergebietes. Das durch Einpolderungen gewonnene Land wurde anteilig unter die Investoren verteilt. Ein großer Teil der gewonnenen Fläche bekam eine agrarische Bestimmung, es wurden zahllose Bauernhöfe zur Pacht dort errichtet. Es geschah häufiger, dass der Verpächter auf einem seiner Höfe sich einen Raum vorbehielt, um ihn dann als Sommeraufenthalt zu nutzen. Man nannte solche Räume alsbald „Herrenzimmer“ (herenkamer). Im Lauf der Zeit bezog der Eigentümer oft den ganzen Hof und der Bauer musste das Feld räumen. Das umgebende Land wurde in einen formellen Garten mit Wasserläufen, Gartendekorationen, Obstgärten, Orangerie, Kutschhaus mit Ställen, Eiskeller und Gartenmauern umgewandelt. Die Poldergebiete Purmer, Schermer und vor allem Beemster zählten zahlreiche auf diese Weise entstandene Landsitze (Abbildung 4 Van der Heijden u. Abbildung 5 Vredenburch). Diese Landhäuser nannte man auch „Hofstedes“, und bei diesem Wort klingt unverkennbar ein agrarisches Element mit. Übrigens kann ergänzende Forschung zeigen, dass die Agrarkrise möglicherweise auch eine Rolle bei der Entstehung von Landsitzen gespielt hat. In solchen ökonomisch schwierigen Zeiten sank der Wert des Bodens und die Anlage von Landsitzen wurde womöglich lukrativer oder weniger kostspielig.
Schließlich ist noch eine Entwicklung aufzuführen, die durch den Amsterdamer Kaufmann Joan Huydecoper (1599-1661) angestoßen wurde (Abbildung 6 Joan Huydecoper). Mit dem Geld seines Vaters, das dieser in der Ledergerberei verdient hatte, kaufte er Landparzellen entlang des Flusses Vecht. In Maarssen baute er für sich einen Landsitz: Goudestein. Zur gleichen Zeit plante er als eine Art Projektentwickler zahlreiche neue Landsitze, die er bevorzugt an Amsterdamer Familien vermietete oder verkaufte. Unter ihnen waren auch wohlhabende jüdische und mennonitische Unternehmer. Gerade die letztgenannte Gruppe besaß auffallend oft luxuriöse Landsitze. Zijdebalen, ein Landhaus bei Utrecht, hatte beispielsweise einen hübsch angelegten Garten mit zahllosen prachtvollen Skulpturen, die zusammen ein ikonografisches Programm bildeten. Das Ensemble war im Auftrag des Seidenhändlers David van Mollem (1670-1746) entstanden.
Ein anderer berühmter Landsitz war Vijverhof, er gehörte der Mennonitin Agneta Block (1629-1705) (Abbildung 7). Diese angeheirate Cousine Joost van den Vondels war die Erste, die in den Niederlanden mit Erfolg eine fruchttragende Ananas züchtete. Sie gab Künstlern und botanischen Illustratoren auf Basis ihrer umfangreichen botanischen Sammlung Zeichenaufträge. Sie beauftragte um die zwanzig auf Zoologie und Botanik spezialisierte Künstler, die von ihr gezüchteten Pflanzen, Blumen und Vögel nach dem Leben in Aquarellen festzuhalten. Unter ihnen waren Herman Saftleven, Pieter und Alida Withoos, Maria Sybilla Merian und ihre Tochter Johanna Herolts-Graff, Pieter Holsteijn, Maria Moninckx und Johannes Bronkhorst. Noch im 19. Jahrhundert bestand für mennonitische Theologiestudenten die Verpflichtung, Unterricht in Landwirtschaftskunde zu nehmen. Beim Studium der Landwirtschaft konnte man Kenntnis über Gottes Werke und damit über Gott selbst erlangen. Für die Erforschung der Landsitze bildet agrarhistorische Forschung eine interessante Informationsquelle. Landbesitz spielte bei all diesem eine wichtige Rolle. Bis jetzt ist kaum erforscht, wie die große Gruppe von Amsterdamer Privatleuten mit diesem ansehnlichen Grundbesitz umgegangen ist. Miteinander besaßen diese Großgrundbesitzer viel Land in den Provinzen Holland und Utrecht. Wie waren ihre Beziehungen zu den lokalen Regierungsautoritäten? Wie verwalteten sie ihre Wälder, Dünengebiete und Wasserwege? Und wie entstanden die Land- und Wasserwege?
Niederländische Monumentalität
Im Vergleich mit unseren Nachbarländern wird manchmal geäußert, dass die niederländische Architektur im Allgemeinen bescheidene Formen kennt und wenig monumental ist. Die genauere Erforschung der Entstehung der Landsitze zeigt, dass unsere Vorfahren gerade auf ihren Landsitzen nach architektonischer Monumentalität strebten. Dort hatten sie mehr Baugrund als in der Stadt zur Verfügung, wo die Grachten und die Überbevölkerung Bauten in großem Maßstab unmöglich machten. Auf dem Lande konnte man monumental mit Backstein und viel Grün bauen. In unserer Zeit gelingt es nicht immer, die komplexe Monumentalität von Landsitzen zu erkennen oder auch ihre Kontextualiät in künstlerischer und sozialer Hinsicht richtig zu beurteilen. Darüber hinaus bietet die Wechselwirkung zwischen städtischer (Innen-) Architektur und der Architektur der Landhäuser noch ein weiteres vielversprechendes Forschungsgebiet.
In diesem Zusammenhang muss ein kaum untersuchtes Phänomen noch genannt werden: der Amateurarchitekt des 18. Jahrhunderts. Der Dilettantismus nahm in jenem Jahrhundert einen großen Aufschwung. Mit Hingabe widmete man sich der Dichtkunst (bevorzugt höfischer Dichtung), der Musikausübung, Botanik und Zoologie sowie zahlreichen anderen Hobbys. Manch einer tat sich auch in der Architektur hervor. So ist bekannt, dass der Amsterdamer Bürgermeister Rendorp (1703-1760) seinen bei Heemskerk gelegenen Landsitz Marquette selbst entwarf. Verbirgt sich in diesem manchmal an Professionalität grenzenden Amateurismus eine Erklärung dafür, dass das 18. Jahrhundert in den Niederlanden so wenige große Architekten hervorgebracht hat? Derzeit ist noch unbekannt, wieviele Landsitze von ihren Besitzern entworfen wurden oder unter ihrer Aufsicht gebaut oder umgestaltet wurden. Hiermit hängt auch zusammen, dass bislang noch wenig auf den Einfluss italiensicher Architekturtraktate auf die Entstehung der holländischen Landsitzkultur geschaut wurde. Ein Teil der durch den 80jährigen Krieg vertriebenen Flamen nutzten vormals Schlösser und Burgen als Landsitze. Auch sie werden auf die Entstehung von Landsitzen hierzulande Einfluss gehabt haben (Abbildung 8, 9 und 10).
Im Laufe der letzten Jahre habe ich über dieses Thema im In- und Ausland viele Vorträge gehalten. Dabei fiel mir auf, dass die Zeit diese Geschichte verdunkelt hat. Über einzelne Landsitze ist viel publiziert worden, aber selten schaffen diese Studien breitere Zusammenhänge. Deshalb fehlt in diesem Forschungsfeld ein synthetischer und interdisziplinärer Ansatz. Meiner Ansicht nach ist die Zeit reif, auf Basis der vielen Spezialpublikationen und ergänzender Forschungen Zusammenhänge zu erkennen. Vielleicht verstehen wir dann, wie unsere Vorfahren die auch heute noch immer spannende Verbindung zwischen Stadt und Land erlebt haben und ihr Gestalt gegeben haben. Kunsthistoriker können dazu einen wertvollen Beitrag leisten, indem sie Porträts, Objekte und Abbildungen deuten. Zusammen mit meinen Co-Autor Jan Holwerda verfasste ich einen Nationalen Führer für Historische Landsitze (Nationale gids Historische Buitenplaatsen). In diesem Buch sind alle offiziellen komplex historischen Landsitze erfasst und ist ihre Geschichte in knapper Form dargestellt. Es ist eigentlich bemerkenswert, dass dieses Buch erst 2012 veröffentlich wurde, ebenso wie in diesem Jahr auch die erste digitale Übersicht niederländischer Landsitze zugänglich wurde. In 2015 erschien von mir eine Publikation zu den Amsterdamer Landsitzen. Weitere sollen folgen.
René W.Chr. Dessing
Kunsthistoriker
Direktor Stichting Digitaal Portaal voor Kastelen, historische Buitenplaatsen en Landgoederen (sKBL)
(Digitales Portal für Schlösser, historische Landsitze und Landgüter in den Niederlanden)
rdessing@skbl.nl